- Offenes Herz
Vertraut gewordene Stille
Die Freiwilligen im Haus von Offenes Herz in Deva (Rumänien) erleben nun schon seit einigen Wochen die Quarantäne in ihrem Viertel. In dieser scheinbaren Eintönigkeit der Stille zeigt sich zugleich die unerwartete Fülle des Seins. Hermine Pillet (Freiwillige aus Frankreich) bezeugt diese tiefe Erfahrung mit eindrucksvollen Aufnahmen aus dem Quarantäne-Alltag und einem Gedicht (zum frz. Original), das wir hier übersetzt haben.
Lachen erklingt und hallt von den Wänden wider. Von lauten Rufen erfüllte Luft. Die Freude vibriert und verbreitet sich wie ein kraftvolles, warmes, unauslöschliches Lied. Das Leben sprudelt in all seiner Pracht und durchflutet unbekümmert jedes Quäntchen Zeit, das vergeht.
Video: © Hermine Pillet
Und plötzlich: Schweigen.
Erhebt sich über die nach und nach verstummenden Stimmen.
Erfüllt mit seiner beängstigenden Dichte diesen Raum, der gestern noch widerhallte.
Einsam. Ängstlich. Schmerzhaft.
Die leere Seele lauscht, sucht verzweifelt nach der kleinsten Unebenheit, an der sie sich in diesem bedrohlichen Abgrund festhalten könnte, der sie verschlingt.
Sie kämpft. Entwirrt sich. Hat Angst.
Als sie erschöpft ist, gesteht sie die Niederlage ein und gibt auf,
die dunkle Weite, in die sie versinkt, leuchtet unmerklich auf.
Ein schwacher Lichtstrahl erscheint und blendet sie. Eine flackernde Flamme erhellt die Dunkelheit.
Ein kaum hörbarer Ton, so ohrenbetäubend wie Donner in dieser stillen Undurchsichtigkeit.

Die Stille war schon da gewesen, seit langem. Immer schon vielleicht. In den Ecken eines lauten und grenzenlosen Lebens kauernd, wartete sie demütig darauf, dass ein aufmerksames Herz sich herablassen würde, sie zu bemerken. Aber die an das helle Licht draußen gewöhnten Augen konnten sie in der Dunkelheit, in der sie sich versteckt hatte, nicht erkennen. Nun, da die Stimmen verstummten, offenbart sie sich. Und solange man bereit ist, ihr zuzuhören, spricht sie.
Ihre Leere ist nur scheinbar. Sie drückt sich aus, aber die Worte, die sie verwendet, sind uns fremd. Sie muss uns vertraut werden.
Sie erhebt sich mit der Morgendämmerung, erleuchtet die schlafenden Räume mit einem sanften Heiligenschein, zerstreut die Trägheit der Nacht.
Sie entsteht im Gemurmel und ihre Klarheit wird deutlicher.
Sie flüstert durch den Windhauch und ihre Erzählung folgt dessen Gang, den ganzen Tag,
durch das leichte Beben von Schatten und Licht, von Blumen und Gestalten.
Ihr Ruf wird kraftvoll, da die warme Sonne, an ihrem höchsten Stand, die Dunkelheit des Hauses mit glitzernden Flächen überzieht.

Die Seele gewöhnt sich wieder an diese Stille, ist wie neugeboren, in ein besänftigtes Leben.
Sie entdeckt den Geschmack des Tages wieder, und zwar intensiver.
Sie entdeckt in dieser Abwesenheit eine ungeahnte Fülle.
Die scheinbare Einsamkeit ist nur die Andeutung eines Mangels, einer tieferen Liebe,
die erste Angst in Wahrheit eine Antwort auf dieses schreiende Verlangen nach Substanz.
Der scharfe Schmerz verkörpert die drängende Sehnsucht nach Größe, nach Majestät, nach Erhabenheit.
Die Stille wird bewohnbar. Der Durst hat die Quelle gefunden, an der er trinken kann. Das Wasser ist sanft, klar und voller Geschmack.
Geschmack, der durch die Trockenheit der umgebenden Wüste noch verstärkt wird.
Das Schweigen wird zur Ruhe, in der die besänftigte Seele sich erholt.
Das Licht fällt sanft, verläuft nahe der erstarrte Erde und durchflutet das wiedergefundene Heim mit weichem Schein.
Und diese Stille, voller Melodien und Düften, steigt zum Himmel auf, während die Abenddämmerung sich am Horizont ausstreckt.
Irgendwo in der Dunkelheit zittert und flackert eine kleine Flamme,
... froh über das bisschen Helle, das sie unter den abendlichen Schatten verbreitet.
Die Nacht macht ihr nun keine Angst mehr.
" Silenziu d'amuri ca camini intr'a li vini,
Nun è pussibili staccarimi di tia "[1]
[1] „Liebesstille, die Du in den Adern fließt, Es ist unmöglich, dass ich Dich verlasse.“, aus: L'Arpeggiata - Silenzio d'Amuri